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Brigitte Burrichter

Friedensaspekte in der Historia Regum Britanniae und im Roman de Brut

Aspects pacifiques dans l’Historia Regum Britanniae et le Roman de Brut

1König Artus gilt als der Friedenskönig schlechthin, die Romane des 12. Jahrhunderts, die an seinem Hof spielen, zeigen eine friedliche Welt, deren Krisen allein persönlichen Unzulänglichkeiten seiner Mitglieder geschuldet sind. Dieses Bild des Königs geht auf die – fiktive – Biographie des Königs in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung zurück.

2Der folgende Beitrag analysiert die Konfiguration des Friedens in zwei historiographischen Werken des anglonormannischen 12. Jahrhunderts. Es soll hier nicht verhandelt werden, dass die beiden Werke aus unserem heutigen Verständnis der Geschichtsschreibung heraus dem Bereich der puren Fiktion zugerechnet werden. Sie haben das Gewicht der Historiographie für sich beansprucht, um ihren Anliegen größeres Gewicht zu geben. Beide Werke, das lateinische von Geoffrey of Monmouth und das anglonormannische von Wace, teilen dieselbe (fiktive) Ereignisgeschichte. Sie geht vermutlich auf Geoffrey zurück, Wace übernimmt sie in allen Details, sie wird im Folgenden kurz skizziert. Was die Werke unterscheidet, ist ihre Intention und die Rolle, die der Frieden spielt.

3Um dieses jeweilige Anliegen zu verstehen, ist es nötig, sie in ihrer konkreten historischen Situation zu verorten und die Geschichte des anglonormannischen Königreichs kurz in Erinnerung zu rufen.

Die Geschichte der Artuszeit und der Artusüberlieferung

4Die Ereignisgeschichte der Artuszeit, soweit sie sich rekonstruieren lässt, spielt im 5. Jahrhundert n.Chr., zur Zeit der angelsächsischen Invasion der britischen Inseln1. In den 420-er Jahren bittet der keltische König Vortigern die Sachsen Hengist und Horsa gegen die Pikten (Schotten) um Hilfe, um 460 stoppt Ambrosius Aurelianus den Vormarsch der sächsischen Truppen. Am Ende des 5. Jahrhunderts schließlich schlägt ein namentlich nicht genannter britischer Heerführer die Sachsen am Mons Badonis2. Diese Schlacht wird im 9. Jahrhundert mit Artus verschmolzen3, einer Figur, die sicher aus der mündlichen Überlieferung stammt. Seit dem 9. Jahrhundert werden seine Taten immer weiter auserzählt, er wird schließlich zum König der Briten. Geoffrey of Monmouth griff auf diese Erzählungen zurück, als er 1135 seine Historia Regum Britanniae schrieb. Er bindet König Artus in seine britische Herrscherfolge ein und erzählt eine sehr stringente Geschichte seines Lebens und seiner Herrschaft, von der Zeugung in Tintagel bis zur Aufnahme in Avalon.

5Außerhalb des historiographischen Diskurses ist für uns König Artus seit dem 11. Jahrhundert greifbar. Die Mabinogion enthalten keltische Erzählungen über König Artus und seinen Hof, bildliche Zeugnisse sind das um 1100 entstandene Portal an der Kathedrale von Modena und das Fußbodenmosaik im Dom von Otranto, das auf 1165 datiert wird. In der erzählenden Literatur werden, beginnend mit den Romanen von Chrétien de Troyes, der Artushof und seine Ritter in Frankreich zum zentralen Thema der volkssprachigen Literatur.

6Die (fiktive) Geschichte der Artuszeit und ihres Königs lässt sich aus den verschiedenen Werken rekonstruieren. Artus ist der Sohn des Königs Utherpendragon und der Ehefrau eines seiner Grafen, Ygerne, die Utherpendragon nach dem Tod des Grafen heiratet. Nach dem Tod seines Vaters wird Artus König, er führt immer wieder Kriege, die von längeren Friedenszeiten unterbrochen werden. Geographisch weitet er seine Aktivitäten aus, er beginnt, die konkurrierenden Herrschaften auf der britischen Insel zu unterwerfen, führt dann Krieg gegen Island, Norwegen und Dänemark, zuletzt gegen Gallien. Schließlich fordert der römische Kaiser die Unterwerfung, Artus antwortet darauf mit einem Kriegszug nach Rom. Sein Reich vertraut er seinem Neffen Mordret an, der ihn allerdings verrät und die Macht usurpiert. Artus kehrt mit seinem Heer um, im Kampf gegen Mordret geht das Artusreich unter. Artus selbst wird nach Avalon gebracht.

7Was an dieser Biographie historisch gesichert ist, spielt für das 12. Jahrhundert keine Rolle. Artus wird als historische, christliche Figur akzeptiert, die Geschichten, die über ihn im Umlauf sind, werden aber bereits von den zeitgenössischen Historiographen angezweifelt.

8Für die Einschätzung der beiden Werke, um die es im Folgenden gehen soll, ist aber deren Entstehungszeit, die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts, ebenso wichtig. Ein knapper Abriss der (diesmal verbürgten) Ereignisgeschichte soll sie in Erinnerung rufen

91066 wurde Wilhelm, Graf der Normandie, englischer König. Er übernahm die hervorragende Verwaltungsstruktur der angelsächsischen Könige, besetzte aber alle wichtigen Ämter in England mit normannischen Gefolgsleuten. In der Folge wurde das anglonormannische Altfranzösisch zur Prestigesprache der neuen Oberschicht und zur Literatursprache. Die Auswirkungen auf die kulturelle Entwicklung in England und Frankreich waren erheblich: Das anglonormannische Altfranzösisch, auf dem Kontinent die allgemeine Umgangssprache, wird in England als Sprache der Führungselite zur Prestigesprache und zunehmend auch zur Schriftsprache. In der Kirche bleibt das Latein bestimmend, aber an den Höfen werden Werke in Anglonormannisch in Auftrag gegeben. Die neue normannische Elite interessiert sich für die Geschichte des neuen Landes. Die englischen Geschichtsschreiber halten die englische (angelsächsische) Geschichte fest, die Normannen interessieren sich auch für die Zeit davor. Es gibt auch Frauen, die in diesem Sinn tätig werden. Bekannt ist Constanze FitzGilbert, die in den 1130er Jahren mehrere Übertragungen lateinischer Werke ins Anglonormannische in Auftrag gibt4.

10Politisch ist die Zeit der anglonormannischen Könige bis 1135 relativ stabil. Nach Wilhelms Tod regieren seine Söhne, von denen vor allem der Jüngste, Heinrich I. mit dem Beinahmen Beauclerc, der Gebildete, hervorzuheben ist. Seine Regierungszeit, von 1100 bis 1135, ist von einer guten Organisation des Reiches und von kulturellem Aufschwung geprägt. Allerdings stirbt er ohne männlichen Nachkommen, sein einziger legitimer Sohn stirbt bei einem (mysteriösen) Schiffsuntergang. In der Folge gibt es zwei Kronprätendenten: Zum einen Heinrichs Tochter Mathilde, Witwe des deutschen Kaisers Heinrichs V., und mit Geoffroi Plantagenêt, Graf von Anjou verheiratet. Sie war von ihrem Vater als Nachfolgerin bestimmt worden, ihr Mann aber – und damit auch sie – hatte wenig Rückhalt unter den normannischen Adligen. Zum anderen Stephen, der Sohn von Wilhelms Tochter Adelis. Er wurde 1135 zum König gekrönt, allerdings erkannte das Mathilde nicht an (die juristische Legitimität der Krönung war unsicher). Die Folge sind interne Kämpfe, eine große Unruhe, die Zeit der sog. Anarchie. In dieser Phase schreibt Geoffrey of Monmouth seine Historia Regum Britanniae.

11Die Anarchie endet erst im Jahr 1154, als der Sohn von Geoffroi und Mathilde, Henri Plantagenêt, als Heinrich II. auf den Thron kommt. Die Thronbesteigung Heinrichs und seiner Ehefrau Aliénor d’Aquitaine ist der Anlass für Waces anglonormannischen Bearbeitung der Historia Regum Britanniae.

12Die beiden Werke, um die es hier gehen soll, sind damit in je ganz bestimmten historischen Situationen entstanden, die ihr Verhältnis zu Krieg und Frieden prägen.

Geoffrey of Monmouth, Historia Regum Britanniae, 1136/1138

13Geoffrey stammt aus Monmouth, an der walisischen Grenze, er studierte (vermutlich) in Oxford, ist am dortigen Kolleg bezeugt, wohl als Lehrer. 1152 wurde er zum Priester geweiht und Bischof in Nordwales. Es sind mehrere Werke von ihm überliefert, unter anderem die Prophezeiungen Merlins (Prophetiae Merlini), die von seinem (oder seiner Auftraggeber5) Interesse an der arthurischen Tradition zeugen. Sein Hauptwerk (zumindest aus unserer Sicht) ist die Historia Regum Britanniae6.

14Nach der Eroberung Englands durch die Normannen schreiben mehrere Kleriker die Geschichte der angelsächsischen Zeit, die im 6. Jahrhundert beginnt. Geoffrey of Monmouth geht vor diese Zeit zurück und beginnt sein Geschichtsbuch mit der Begründung der bretonischen Herrschaft durch Brutus, einem Nachkommen des Aeneas – wie zahlreiche andere Volksgruppen bekommen so auch die Bretonen (oder Briten) einen trojanischen Ursprung. Die Geschichte reicht bis zum letzten britischen König im 7. Jahrhundert. Den Höhepunkt der britischen Geschichte bildet, folgt man der Historia Regum Britannniae, die Regierungszeit des Königs Artus und dieser Höhepunkt ist sehr deutlich als Vorbild und Mahnung an Geoffreys eigene, unruhige Zeit konzipiert.

15Die Artusgeschichte beginnt mit Artus’ Vater Utherpendragon, der einhellig zum König berufen wurde:

Historia Regum Britanniae7 VIII, 135: Uther rief den Klerus und das Volk zusammen, nahm die Krone und wurde mit dem Einverständnis aller König der Insel. [At Vther (…) conuocato regni clero et populo, cepit diadema insulae annuentibusque cunctis sublimatus est in regem.]

16Er hat die unruhige britische Insel befriedet, hat die Schotten und Pikten im Norden und die Sachsen im Osten unterworfen. Allerdings wird er krank und kann das Land nicht halten, nach seinem Tod brechen die alten Konflikte wieder auf.

17Artus wird 15jährig zum neuen König gekrönt und muss sich sofort den Bedrohungen stellen. Von Anfang an wird er als König charakterisiert: Er ist furchtlos und kampfstark, holt aber vor allem den Rat seiner Umgebung und der Kirchenleute. Artus beschließt, die Sachsen zu vertreiben, um an deren Reichtümer zu gelangen, sein Vorhaben ist gerechtfertigt:

HRB IX, 143: Artus, der rechtschaffen und großzügig war, beschloss, gegen die Sachsen zu kämpfen, um mit deren Besitz seine Leute zu belohnen. Er hatte das Recht dazu, denn er sollte als rechtmäßiger Herrscher über die ganze Insel herrschen. [Arturus ergo, quia in illo probitas largitionem comitabatur, statuit Saxones inquietare, ut eorum opibus quae ei famulabatur ditaret familiam. Commonebat etiam illud rectitudo, cum tocius insulae monarchiam debuerat hereditario iure obtinere.]

18Es gelingt ihm, auf der Insel wieder Ruhe herzustellen. Auch hier wird, schon bei der ersten Militäraktion, sein Vorgehen gezeigt: Er ist ein mitleidloser, harter Kämpfer, der seine Leute inspirieren kann und er gewinnt die umgebenden Territorien zwar zunächst militärisch, bindet die jeweilige Führungsschicht dann aber durch seine große largitas an sich. Außerdem besetzt er die entscheidenden Ämter mit ihm treuen Adligen aus seiner Umgebung. Ein weiteres kommt dazu: Artus ist der christliche König, seine Gegner im Westen, Norden und Osten sind Heiden.

19Der Ruhm des Königs als Kriegsherr provoziert Angriffe, der irische König setzt mit seiner Armee über, Artus besiegt ihn und erobert nach Irland dann noch Island und die Inseln im Nordmeer. Damit kontrolliert er nun all die Länder, aus denen heraus im realen 5. und 6. Jahrhundert Überfälle auf die britische Insel stattfanden, es folgt eine zwölfjährige Friedenszeit, in der sich Artus sich dem Ausbau seines Hofes widmet

20Der Artushof ist schließlich der prachtvollste und attraktivste in ganz Europa, es gibt Turniere und höfisches Verhalten. Die Inszenierung des Hofes in der Friedenszeit ergänzt damit den militärischen Glanz des Königs und seines Hofes, Artus ist in Krieg und Frieden ein vorbildlicher König.

21Sein Ruhm verbreitet sich überall, aber gleichzeitig auch die Angst vor ihm. Dies bringt ihn auf die Idee, seine Eroberungen weiter auszudehnen:

HRB IX, 154: Als Artus [von der Angst der Völker vor ihm] erfuhr, freute er sich, dass er gefürchtet war und beschloss, sich ganz Europa zu unterwerfen. [Cumque id Arturo notificatum esset, extollens se quia cunctis timori erat, totam Europam sibi subdere affectat.]

22Artus erobert Norwegen und Dänemark und setzt dann mit seinem Heer nach Gallien über, das römisch beherrscht ist. Nach einem langen Kampf besiegt er schließlich den römischen Statthalter und nimmt Paris ein. Dann erobert er nach und nach den ganzen Westen des heutigen Frankreich. Dieser Eroberungskrieg, der nach heutigem Verständnis ein Invasionskrieg ohne jegliche vorherige Aggression oder Bedrohung ist, wird intradiegetisch durch den Ruhm des Königs motiviert. Eine extradiegetische Erklärung liegt möglicherweise in der politischen Situation des 12. Jahrhunderts: Mit Ausnahme von Paris, das französischer Kronbesitz und Hauptstadt des französischen Königreichs ist und Aquitanien, das über Königin Eleonore zu Frankreich gehört, handelt es sich um Territorien, die von den englischen Kronprätendenten beherrscht werden. Artus Reich umfasst damit alle um 1140 normannisch kontrollierten Territorien.

23Der Frieden wird mit einem großen Fest gefeiert. Er findet ein jähes Ende, als während des Festes Gesandte aus Rom kommen und von Artus die Unterwerfung fordern – ein Ansinnen, das Artus sofort zurückweist. Im Kontext unserer Fragestellungen ist die Reaktion des Hofes interessant: Cador, Herzog von Cornwall und eine der Stützen des Reichs macht den Anfang. Er sei erleichtert, so führt er aus, dass endlich wieder Krieg sei, weil er schon in Sorge war, dass der Müßiggang bei Hof die Kampfkraft der Männer schmälere.

HRB IX, 158: Als sie die Stufen hinaufgingen, lächelte Cador zufrieden und sagte zum König: ‚Ich hatte befürchtet, dass das angenehme Leben, das die Briten in dieser langen Friedenszeit genossen haben, sie nachlässig machte und sie den Ruf als Kämpfer völlig vergessen haben, der sie vor den anderen Völkern auszeichnet. Wenn die militärischen Aktionen aufhören und an ihre Stelle Würfelspiele, Liebesgeschichten und andere Vergnügungen treten, dann werden mit Sicherheit der frühere Mut, Ehre, Kaltblütigkeit und Ruhm von Feigheit beschmutzt. Fast fünf Jahre lang haben wir solche Annehmlichkeiten erlebt, ohne durch einen Krieg geprüft worden zu sein. Gott hat, damit uns diese Trägheit nicht schwäche, den Römern diese Absicht eingegeben, damit wir unsere alte Tugend wiederherstellen können.‘ [Cador dux Comubiae, ut erat laeti animi, in hunc sermonem cum risu coram rege solutus est: ‚Hucusque in timore fueram ne Britones longa pace quietos ocium quod ducunt ignauos faceret famamque militiae, qua ceteris gentibus clariores censentur, in eis omnino deleret. Quippe ubi usus armorum uidetur abesse, aleae autem et mulierum inflammationes ceteraque oblectamenta adesse, dubitandum non est ne id quod erat uirtutis, quod honoris, quod audatiae, quod famae, ignauia commaculet. Fere namque transacti sunt quinque anni ex quo praedictis deliciis dediti exercitio martis caruimus. Deus igitur, ne nos debilitaret segnitia, Romanos in hunc affectum induxit ut in pristinum statum nostram probitatem reducerent.’]

24Die weiteren Redner stimmen zu, der Krieg gegen Rom wird allgemein begrüßt. Der Frieden, so scheint es, ist eher eine Bedrohung als eine Chance, der Kampf ist das Proprium einer Gesellschaft, die ihre Stärken allein in den militärischen Aspekten sieht.

25Artus erklärt dem römischen Kaiser den Krieg, man stellt auf beiden Seiten die Armeen zusammen. Artus ist (natürlich) erfolgreich, seinen Männern hat der Frieden nicht geschadet (HRB X, 169). Er beschließt, nun Rom zu erobern, dieses Ziel scheint zum Greifen nahe. Aber es kommen bedrohliche Nachrichten aus England. Sein Neffe Mordret, dem er Reich und Königin anvertraut hat, hat ihn verraten, die Macht an sich gerissen und die Königin zu seiner Frau gemacht. Artus bricht die römische Kampagne ab und eilt heim. Bereits im Kampf gegen Rom sind einige der alten Gefährten gefallen, in der Schlacht um England sterben fast alle Gefolgsleute, auch Mordret kommt um, Artus wird schwer verwundet. Er wird nach Avalon gebracht, wo seine Wunden gepflegt werden (und von wo er – das schreibt Geoffrey nicht explizit – im Notfall zurückkommen wird, sollte sein Volk ihn brauchen).

HRB XI, 178: Auch der berühmte König Artus wird tödlich verwundet, er wurde auf die Insel Avalon gebracht, um seine Wunden zu pflegen (…), dies im Jahre des Herrn 542. [Sed et inclitus ille rex Arturus letaliter uulneratus est ; qui illinc ad sananda uulnera sua in insula Auallonis (…) anno ab incarnatione Domini .dxlii.]

26Diese – je nach Perspektive – Drohung oder Verheißung war findet sich auch in anderen Überlieferungskontexten8.

Der Frieden in der Historia Regum Britanniae

27Der Frieden, das sollte deutlich geworden sein, steht nicht im Zentrum von Geoffreys Artusgeschichte, er ist eher ein Nebeneffekt der erfolgreichen Militärpolitik. Artus bricht ihn ohne Not, als er sich an die Eroberung Galliens macht.

28Dennoch ist die Friedenszeit auch bei Geoffrey von Bedeutung, denn sie bietet die Gelegenheit und den Rahmen dafür, dass die Hofhaltung von einer Versammlung von Kriegern zu einer verfeinerten Gesellschaft wird (HRB IX, 154). Hatte Artus als Feldherr Ruhm als großer Kämpfer, charismatischer Führer und kluger Stratege erworben, dessen largitas zur Sicherung des Erreichten zentral war, so beruht sein Ruhm als König nun auch auf der Elaboriertheit des Hoflebens. Die facieta, die Höfischheit, wird zum zentralen Begriff, sie führt dazu, dass sich junge Ritter am Hof versammeln, um hier die beste Ausbildung zu bekommen. Das letzte große Fest setzt dies gekonnt in Szene: Kleidung, Zeremonien, Musik und Sport zeichnen einen prachtvollen Hof (HRB IX, 157). Es wird nach trojanischer Tradition gefeiert, Männer und Frauen sind getrennt. Beim Festturnier schauen die Frauen zu, wir erleben eine Hofgesellschaft wie in den späteren Romanen.

29Ein solcher Hof mag als Vorbild für die realen Höfe gedacht sein (er hat vermutlich den Hof Heinrichs I. zum Vorbild), wichtiger ist aber eine andere Botschaft. Oberstes Ziel ist die Herrschaft und die Macht des Königs, dafür muss er aber seine Männer sicher hinter sich wissen. Wenn alle einig sind, so die wiederholte Mahnung im Text, ist das Reich sicher, dieser Zusammenhalt muss auch in der Friedenszeit gepflegt werden. Die Bedeutung der Einigkeit wird ex negativo am Ende von Utherpendragons Herrschaft gezeigt:

HRB VIII, 139: Ihr Hochmut war ihr Schaden, der dazu führte, dass sie dem Herrscher nicht gehorchen wollten; dadurch waren sie zu schwach, um die Feinde zu schlagen. [Superbia enim ciuibus nocebat, quia dedignabantur praeceptis consulis obedire; unde debiliores insistentes nequibant imminentes hostes triumphare.]

Während Artus’ Regierungszeit wird dagegen immer wieder die Einheit hervorgehoben, ein Beispiel:

HRB IX, 162: König Artus befahl, da er nun ihrer einhelligen Unterstützung sicher war, dass sie schnell nach Hause zurückkehren sollten. [Rex igitur Arturus, expertus omnes in obsequium suum unanimiter prartor, praecepit eis celiter repatriare.]

30Nur die Einheit aller garantiert den militärischen Erfolg und nur das berechtigte Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Männer erlaubt es dem Herrscher, sie aus seiner unmittelbaren Aufsicht zu entlassen.

Der historische Kontext

31Diese Mahnung rekurriert sehr deutlich auf die aktuelle politische Situation um 1136/1138. Die Konflikte zwischen den beiden Parteien, die sich um die englische Krone streiten, drohen das Reich Wilhelms des Eroberers zu zerstören. Nur eine schnelle Einigung und die sichere Loyalität aller kann es noch retten. Geoffreys Erzählung stellt diese Mahnung deutlich aus: Dass er auf die normannischen Parteien zielt, zeigt seine auf den ersten Blick unmotivierte Eroberung Galliens, durch die das Artusreich (mit Ausnahme der Ile de France und dem zu Frankreich gehörenden Aquitanien) zumindest in England und Westfrankreich deckungsgleich mit den potentiellen normannischen Besitzungen wird. Keine äußere Macht kann Artus dieses Reich streitig machen und wird – so lässt sich der Gedanke weiterspinnen – das anglonormannische Reich zerstören. Der Untergang kommt durch den Verrat innerhalb der eigenen Familie, eben das Phänomen, das auch 1136/1138 die große Bedrohung darstellt.

32Geoffrey verstärkt sein Argument noch weiter. Es muss nicht nur die aktuelle Krise bewältigt und die Einigkeit wieder hergestellt werden, es bedarf kontinuierlicher Anstrengungen dafür. Denn im Hintergrund droht ein mächtiger König, Artus, der auf Avalon wartet und die Lage seines Volkes beobachtet. Die normannische Herrschaft, die als Nachfolge der großen britischen Zeit inszeniert wird, kann also auch zu Ende gehen.

33Dies ist die zentrale Botschaft des Textes und motiviert die Artuserzählung. Allerdings hat die Historia Regum Britanniae keinen Einfluss auf die Politik gehabt, ähnlich wie dies ja zu allen Zeiten das Los der Literatur war und ist. Für die Literatur, die französische zumal, spielt aber die Übertragung der Historia in die Volkssprache eine entscheidende Rolle.

Der Roman de Brut von Wace

34Die HRB wird kurz nach ihrer Fertigstellung ein erstes Mal in der anglonormannischen Volkssprache bearbeitet. Constanze FitzGilbert, die Frau eines normannischen Adligen in England, beauftragt ihren ‚Sekretär’ damit, vermutlich 1139 legt Geiffrei Gaimar die Estoire des Bretuns vor. Leider ist das Werk nicht erhalten.

35Die zweite, sehr wirkmächtige Bearbeitung unternimmt dann Wace, der seinen Roman de Brut9 1155 abschließt. Über Waces Biographie ist wenig bekannt, er war clerc lisant und verfasste eine ganze Reihe von Werken in der Volkssprache. Als Motivation nennt er den Bedarf an Wissen, den des Latein Unkundige haben. 1174 ist er zum letzten Mal in einer Urkunde nachgewiesen. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in Caen verbracht10.

36Wace hält sich für die ‚Fakten’ an seine Vorlage, die Regierungszeit von Utherpendragon ist vom Frieden gekennzeichnet. Nach Utherpendragons Tod setzen, ganz wie bei Geoffrey, die Konflikte wieder ein, aber es gelingt Artus schnell, sie beizulegen. Sein Vorgehen ist dasselbe wie in der Vorlage: die Gegner werden getötet, danach herrscht – mangels Feinde – Frieden:

RdB 9407f.: Als Cador dieses Massaker angerichtet und das ganze Land befriedet hatte (…). [Quant Cador ot fait cele ocise, / E la terre out tute en pais mise (…).]

37Artus beschließt, Irland zu erobern (RdB 9659˗9702), die anschließende Eroberung Islands wird mit dem Wunsch begründet, alles zu beherrschen: „Überall wollte er herrschen [Par tuit volt aver seinnurie]“ (RdB 9707). Das scheint mir wichtig festzuhalten: In dieser frühen Phase lebt Artus seine Eroberungsgelüste aus und will alle dominieren, Frieden ist, wie bei Geoffrey, die zeitweise Abwesenheit von Krieg. Der große Frieden nach den Eroberungen im Nordmeer und der freiwilligen Unterwerfung einiger Herren beruht darauf, dass alle Artus fürchten und dieser kein Interesse mehr an Kämpfen hat:

RdB 9731–9734: Zwölf Jahre nach dieser Rückkehr [nach England] regierte Artus friedlich, niemand wagte es, ihn anzugreifen, und er bekämpfte die anderen nicht. [Duze ans puis cel repairement / Regna Artur paisiblement, / Ne nuls guerreier ne l’osa, / Ne il altre ne guereia.]

38In dieser langen Friedenszeit gilt das Bemühen des Königs, deutlicher als in der Vorlage, nicht nur der Sicherung, sondern auch der Ausgestaltung des Friedens. Artus ist der ideale König schlechthin: eine charismatische Persönlichkeit, integer, klug und unabhängig. Wace zeichnet sein Bild detailliert und facettenreich. Aus eigenem Antrieb wird Artus zum Vorbild als edler und höfischer Mann (RdB 9735–9740). Bei Geoffrey hatte Artus berühmte Männer aus aller Welt an seinen Hof geladen, um diesen aufzuwerten (RdB IX, 154), bei Wace reicht der Ruhm des Königs, um alle anzuziehen, der Hof wird zum Zentrum der (westlichen) Welt.

39In der Beschreibung des letzten großen Eroberungskrieges gibt es eine bemerkenswerte Ergänzung Waces. Zwar zerstört Artus, wie bei Geoffrey, das Land der rebellischen Norweger: „Er hat die Regionen stark zerstört, Städte niedergebrannt und Häuser ausgeraubt. [Molt a destruites les contrees, / Viles arses, meison robees.]“ (RdB 9839f.). Damit fasst Wace eine längere Beschreibung bei Geoffrey zusammen, gibt also der Grausamkeit des Krieges weniger Raum als die Vorlage, zudem freut sich Artus hier, dass der dänische König den Frieden in Verhandlungen sucht.

40In Gallien ändert Artus seine Strategie, er achtet darauf, das Land zu schonen:

RdB 9897–9904: Klug ließ er seine Leute führen, er wollte das Land nicht zerstören, Städte niederbrennen und Dinge nehmen. Alles ließ er verbieten, außer Fleisch und Getränke und Proviant zu nehmen und wenn sich jemand fand, der es verkaufte, sollte es mit gutem Geld gekauft und weder weggenommen noch geraubt werden. [Sagemant fist sa gent cunduire, / Ne volt pas la terre destruire, / Viles ardeir ne robes prendre; / Tut fist veer e tut defendre / Fors viande et beivre et provende, / E si l’um trove ki la vende, / A buens deniers seit achatee, / Ne seit toleite ne robee.]

41Paris wird aber dennoch belagert und ausgehungert, um Frollo, den römischen Statthalter zur Aufgabe zu zwingen. An solchen Stellen wird deutlich, dass Wace seine Versuche, Artus auch im Krieg als gerechten König zu zeigen, in das vorgegebene Gerüst einfügt. Sehr konsistent ist das nicht, dennoch zeigt der Kriegsherr dadurch andere Seiten, die er bei Geoffrey nicht hatte und die durchaus als Fürstenspiegel taugen.

Der Frieden bei Wace

42Die aktive Ausgestaltung des Friedens, die Wace detailliert beschreibt und in Szene setzt, wird zum mächtigsten Instrument der Friedenssicherung: Die (jungen) Ritter, die nachfolgende Generation, kennt sich und teilt dieselben Werte, dies minimiert die Gefahr von Konflikten – ganz davon abgesehen, dass die potenziellen Kämpfer alle am Hof sind.

43In Waces Entwurf wird vor allem deutlich, dass der Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Kämpfen und Konflikten. Ihn bewahren zu wollen verlangt, ihn aktiv zu gestalten und beständig aufmerksam zu sein. Ein solcher gestalteter Frieden sichert aber nicht nur die Abwesenheit von Konflikten. Wace zeigt deutlicher als Geoffrey, dass er den Rahmen für eine kulturelle Blütezeit bildet, er gibt dem Hofleben und der Attraktivität des Artushofes viel Raum.

44Wichtig ist Artus hier aber neben dem äußeren auch der innere Frieden: An seinem Hof treffen sich die besten Ritter der Welt, alle aus dem Hochadel, und konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Königs. Um Streitigkeiten vorzubeugen, schafft Artus die Table Ronde: Hier sitzen alle gleich, es gibt keinen bevorzugten Platz.

RdB 9747–9760: Für die edlen Barone, die er hatte, von denen jeder der Beste zu sein glaubte und sich jeder für den besten hielt und niemand sagen könnte, wer der schlechteste war, machte Artus die Table Ronde, von der die Bretonen manche Geschichte erzählen. Dort saßen die Vasallen, alle ritterlich und alle gleich. Am Tisch saßen sie als Gleiche und wurden gleich bedient, keiner von ihnen konnte sich rühmen, dass er höher sitze als seinesgleichen, alle saßen in der Mitte und es gab niemanden außerhalb. [Pur les nobles baruns qu’il out, / Dunt chescuns mieldre estre quidout / Chescuns se teneit al meillur, / Ne nuls n’en saveit le peiur, / Fist Artur la Runde Table, / Dunt Bretun dient mainte fable. / Iluec seeient li vasal / Tuit chevalment et tuit egal ; / A la table egalment seeient, / E egalment servi esteient ; / Nul d’els ne se poeit vanter / Qu’il seïst plus halt de sun per ; / Tuit esteient assis meaien / Ne n’i aveit nul de forain.]

45Die lange Beschreibung insistiert geradezu auf dem Bemühen, Streitigkeiten am Hof zu vermeiden und alles daran zu setzen, den inneren Frieden zu wahren. Die Table Ronde hat kein (bekanntes) Vorbild, Wace führt sie in die Erzählung ein und macht damit die vielfältigen Friedensbemühungen und Konfliktlösungsstrategien des Königs sinnfällig.

46Großes Gewicht legt Wace auf die kulturellen Errungenschaften des Hofes. Bereits Geoffrey hatte die Höfischheit angesprochen, hier wird sie nachvollziehbar: Die rücksichtsvolle Sprache, das respektvolle Verhalten nicht nur unter den Rittern, sondern auch den Damen gegenüber schafft eine Atmosphäre des inneren Friedens, die gleichzeitig die potenziellen Rivalen an den Hof bindet. Der Umgang dort ist so verfeinert, dass der Hof nicht nur zum Zentrum wird, sondern zum Vorbild, und dies in vielerlei Hinsicht: Könige nicht nur der umliegenden Reiche, sondern auch von weiter entfernten Ländern schicken ihre Söhne an den Artushof, damit sie dort erzogen werden.

47Wace malt die Angaben, die er seiner Vorlage übernimmt, breiter aus und ergänzt sie um weitere Facetten, die bei Geoffrey nicht erwähnt werden, und nicht zuletzt bilden diese verfeinerte Gesellschaft und die lange Zeit des Friedens den Rahmen für die Entstehung der Literatur:

RdB 9787–9798: In diesem großen Frieden, von dem ich gesprochen habe, ich weiß nicht, ob Ihr davon gehört habt, wurden die wunderbaren Geschichten erwiesen und die Abenteuer gefunden, die von Artus so viel erzählt werden, dass sie zu Fabeln geworden sind. Nicht ganz Lüge und nicht ganz Wahrheit, nicht ganz Dummheit und nicht ganz Wissen. Die Erzähler haben so viel erzählt und die Fabulierer so viel fabuliert, um ihre Geschichten zu verschönern, dass deswegen alles wie eine Fabel aussieht. [En cele grant pais ke jo di, / Ne sai se vuz l’avez oï, / Furent les merveilles pruvees, / E les aventures truvees / Ki d’Artur sunt tant recuntees / Ke a fable sunt aturnees / Ne tut mançunge ne tut veir, / Ne tut folie ne tut saveir. / Tant unt li conteür cunté / E li fableür tant flablé / Pur lur cuntes enbeleter, / Que tut unt fait fable sembler.]

48Dies ist eine erste Beschreibung des fiktionalen Erzählens! Die Referenz auf die res factae ist nicht wichtig, die Ästhetik dafür umso mehr. Wir wissen nicht, an welche Geschichten Wace gedacht hat, aber es ist durchaus möglich, dass es nicht um die chansons de geste geht, der en Inhalt kriegerische Ereignisse sind, sondern um die Erzählungen aus dem keltischen Raum, in denen die Liebe oder individuelle Abenteuer eine große Rolle spielen11.

49Die Rückkehr nach England nach der Befriedung Galliens und das letzte große Fest nehmen bei Wace viel Platz ein. Er beschreibt zunächst ausführlich die Wiedersehensfreude nach der langen Abwesenheit der Männer (RdB 10171-10196). Das große Fest zeigt, ausführlicher als bei Geoffrey, die Kultur am Hof.

50Die Kirchenmusik ist von hohem Standard. Schon Geoffrey hatte dies kurz erwähnt, Wace nun beschreibt die Gestaltung eines Festgottesdienstes beim letzten Fest anhand der Musik. Die Ritter besuchen den Gottesdienst nicht etwa (zumindest nicht explizit) aus religiösen Gründen, sondern aus ästhetischen:

RdB 10421–10436: Ihr hättet viel Orgelspiel gehört und Kleriker ein- und mehrstimmig singen, Stimmen leiser werden, Stimmen lauter werden, Gesang tiefer und Gesang höher werden. Ihr hättet Ritter zwischen den Kirchen hin- und hergehen sehen; sowohl, um die Kleriker singen zu hören als auch, um in Ruhe die Damen anzuschauen liefen sie von einer Kirche zur anderen, sie liefen viel und kamen zurück, sie wussten nicht, wo sie länger bleiben sollten. Sie konnten sich nicht satthören und sattsehen, wenn es den ganzen Tag gedauert hätte, wären es ihnen, so glaube ich, nicht langweilig geworden. [Mult oïssiez orgues suner / Et clers chanter et orgener, / Voiz abaissier et voiz lever, / Chant avaler et chant monter ; / Mult veïssiez par les mustiers / Aler et venir chevaliers ; / Tant pur oïr les clercs chanter, / Tant pur les dames esgarder / D’un mustier a l’altre cureient / Mult aloent et mult veneient, / Ne saveient certainement / Al quel fussent plus lungement ; / Ne se poeient saüler / Ne de veeir ne d’esculter ; / Se tuz li jurz issi durast, / Ja, ço qui, ne lur ennuiast.]

51Die weltliche Musik ist vielfältig (1997–2006), die höfische Unterhaltung umfasst neben der Musik auch das Geschichtenerzählen und Turniere. Die Damen, auch das führt Wace aus, gewähren ihre Liebe nur Herren, die sich als Ritter in Turnieren bewähren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass aus der Kriegergesellschaft der frühen Artuszeit eine verfeinerte Gesellschaft geworden ist, die offen gegenüber ästhetischen Erfahrungen ist. Waces Ausmalung der Friedenszeit und des Festes ist lang und detailliert und er gibt damit dem Frieden als Voraussetzung für all die Errungenschaften ein großes Gewicht.

52Den vielleicht stärksten Appell für den Frieden setzt Wace aber bei der Beschreibung der römischen Provokation, die der Glanzzeit des Artusreiches ein Ende setzen wird. Wie in der Vorlage freut sich Cador, dass die müßige Zeit zu Ende ist und der Hof zu den alten Tugenden der Kriegergesellschaft zurückkehren kann. Aber hier gibt es Widerspruch:

RdB 10765–10772: Herr Graf, sagte Gawain, meiner Treu, Ihr seid umsonst besorgt. Gut ist der Frieden im Vergleich zum Krieg, viel schöner und besser ist dann die Erde. Sehr gut sind die Scherze und gut ist die Liebe. Für die Freundschaft und für die Geliebten vollbringen die Ritter Rittertaten. [Sire cuens, dist Walwein, par fei, / De neient estes en effrei. / Bone est la pais emprés la guerre, / Plus bele et mieldre en est la terre. / Mult sunt bones les gaberies / E bones sunt les drueries. / Pur amistié et pur amies / Funt chevaliers chevaleries.]

53Gawain betont den Wert der kulturellen Errungenschaften der Gesellschaft, die wichtiger seien als die rein militärische Stärke und diese doch nicht schwächen, er hebt die wesentlichen Aspekte des Hoflebens hervor, die den Rittern nicht schaden, sondern sie antreiben.

54Diese Einschätzung trennt die Generationen: Cador gehört der Generation des Königs an, die noch die militärischen Erfahrungen hat, während Gawain die junge Generation vertritt, die im Frieden groß geworden ist und erst im Gallienkrieg alt genug zum Kämpfen war. Die junge Generation trägt und verteidigt die kulturellen Errungenschaften des Hofes und zweifelt die alten Werte an – diese Haltung wird ein Grundmuster der späteren Artusromane bilden. Gawains Einwurf wird nicht diskutiert, Wace folgt im Weiteren seiner Vorlage. Das kann man als Übergehen des Arguments lesen, aber auch in einem anderen Sinn: Die Verteidigung des Friedens ist nicht verhandelbar. Die Vertreter der älteren Generation, die im Weiteren die römische Provokation diskutieren wie in der Vorlage, schwächen damit das Argument Gawains nicht ab. Handlungstechnisch hat es keine Wirkung, als Plädoyer für den Frieden behält es sein Gewicht.

Der zeitgeschichtliche Kontext des Roman de Brut

55Wace schreibt sein Werk am Beginn der Regierungszeit des jungen Königs Heinrich II., auf dem alle Hoffnungen ruhen: Er wird die Zeit der Anarchie beenden und die alte Stärke des anglonormannischen Reiches wieder herstellen. In dieser Situation verliert der Appell zur Einheit sein Gewicht, an dessen Stelle tritt die Aufforderung, die neuen Zeit zu gestalten, um den Frieden zu garantieren. Wace entwirft einen glanzvollen Hof, der Vorbild für Heinrichs Hof werden kann (und tatsächlich in einigen Bereichen auch wird). Als Kleriker am Hof betont er vor allem diejenigen kulturellen Bereiche, die ihm wichtig sind: König Artus lässt seine Taten aufschreiben, an seinem Hof blühen die Musik und die Literatur. 1155 ist das eine Hoffnung für die Zukunft, Heinrich und seine Königin Eleonore von Aquitanien und ihre Töchter werden sie einlösen12. Heinrich vermeidet große Konflikte mit dem französischen König und hält so weitgehend Frieden. Am anglonormannischen Hof entstehen wichtige gelehrte Werke, aber auch das älteste erhaltene Manuskript des Rolandsliedes, Eleonores Tochter Marie, Gräfin der Champagne, wird zur Mäzenin Chrétiens de Troyes.

56Es fehlt auch die Ermahnung, stets wachsam zu sein, weil nicht zuletzt König Artus zurückkommen könnte. Auch bei Wace wird der König nach dem letzten Kampf nach Avalon gebracht und wir erfahren, dass die Bretonen auf seine Rückkehr hoffen. Ob Artus aber jemals zurückkehren wird, lässt er offen:

RdB 13282–13290: Meister Wace der dieses Buch machte, möchte nicht mehr über sein Ende sagen, als es der Prophet Merlin tat. Merlin sagte über Artus, und damit hatte er recht, dass sein Tod zweifelhaft war. Der Prophet sagte die Wahrheit, man hat die ganze Zeit seither gezweifelt, und man wird in alle Zukunft weiter zweifeln, so glaube ich, ob er tot sei oder lebendig. [Maistre Wace, ki fist cest livre / Ne volt plus dire de sa fin / Qu’en dist li prophetes Merlin ; / Merlins dist d’Arthur, si ot dreit, / Que de sa mort dutuse serreit. / Li prophetes dist verité ; / Tut tens en ad l’um puis duté, / E dutera, ço crei, tut dis, / Se il est morz u il est vis.]

57Heinrich greift diesen Zweifel auf: In einem – mutmaßlich nicht ganz ernst gemeinten – Brief erklärt er sich zum Vasallen von Artus, um damit seine Herrschaftsansprüche auf die Bretagne zu rechtfertigen. 1191 wird dann das Grab des Königs gefunden und damit bewiesen, dass er nicht mehr zurückkehren wird13. Die Artusgeschichte, wie sie in den historiographischen Texten und in den Romanen entfaltet wird, ist insgesamt ein wichtiger Teil der anglonormannischen Propaganda14.

Schlussbemerkung

58Vergleicht man die beiden Entwürfe so zeigt sich, wie sehr sie von ihrer Entstehungszeit beeinflusst sind: Geoffrey mahnt zur Einigung, um die Macht der Anglonormannen im Land zu behalten. Artus ist unangefochtener König, nicht nur, weil er militärisch nicht zu schlagen ist, sondern auch, weil alle hinter ihm stehen. Er ist ein kluger Herrscher, der immer wieder den Rat der Kirchenvertreter und Adligen einholt und auch damit alle an sich bindet. Der Ausbau des Hofes in der Friedenszeit dient dazu, den militärische Ruhm zu stützten.

59Wace schreibt in einer Zeit der Hoffnung auf den Frieden unter dem jungen Königspaar, entsprechend breit zeichnet er die Möglichkeiten, die der Frieden für das Königreich bietet. Artus ist dabei nicht nur um den äußeren, sondern auch um den inneren Frieden bemüht, die Table Ronde steht dafür. Stärker als bei Geoffrey zeigt sich in Waces Version, dass der Frieden gestaltet werden muss, dass es Bemühungen seitens des Königs bedarf, um den Frieden zu erhalten. In Gawains Replik auf die Herausforderung Roms und Cadors Vorfreude auf den Krieg scheiden sich zudem die Generationen: Die ältere Generation befürwortet den Krieg, wie sie Artus in allen seinen Kriegen widerspruchslos gefolgt ist. Gawain, der Vertreter der jungen Generation verteidigt den Frieden. Diese Generationenfrage wird im Übrigen – in anderen Kontexten – in den Romanen Chrétiens de Troyes eine Rolle spielen15. Diese Romane entfalten die Gefahren für den inneren Frieden, die persönlichen, individuellen Konflikte und die kleinen Schwächen des Königs, die den Frieden des Hofes gefährden und sie erzählen, wie der Frieden durch individuelle Leistungen einzelner Ritter wieder hergestellt wird. In dieser Perspektive ist die neue Literatur des 12. Jahrhunderts auf ihre Art eine Arbeit am Frieden.